Spur eines Jahrhundertirrtums

Inhalt
<< (5.1) Versuchsanliegen, -aufbau und -durchführung
>> (5.3) Ursprung und "Nützlichkeit" der Kontraktions-Hypothese

5.2 Herkömmliche Deutungen des Versuchsergebnisses

Folgen wir zunächst einigen herkömmlichen Deutungen, die exemplarisch die Problemvielfalt und das verbreitete Meinungsspektrum verdeutlichen.

,,Das Versuchsergebnis t = 0 wäre erklärbar, wenn die Erde im absolut ruhenden Äther ruhte; dann wäre v = 0 und folglich t = 0. Das aber ist ein sehr eigentümlicher Sachverhalt; denn es ist nicht zu verstehen, wieso ausgerechnet das willkürlich gewählte Koordinatensystem mit der Erde als Bezugspunkt, die sich einerseits um die Sonne dreht und sich andererseits mit der Sonne im galaktischen System der Fixsterne bewegt, eine so fundamentale Bedeutung haben soll, daß der Äther der elektromagnetischen Wellen gerade in diesem System ruht. Die Erklärung, daß der Äther im Erdsystem ruhen soll, ist daher unbefriedigend." <67>

,,Es ist eine allgemein erwiesene Tatsache, daß die Erde nicht ruht und daß somit bei Annahme eines ruhenden Äthers v ungleich 0 sein muß. Das Ergebnis t = 0 erfordert also andere Deutungen. Eine andere Deutung bestand in der Abkehr von der absoluten Ruhe des Äthers. Mit der Annahme, daß die sich bewegenden Körper den Äther in ihrer Umgebung mitführen, war es schon nicht mehr möglich, die Geschwindigkeit des Körpers relativ zum Äther zu messen. Michelson und Morley nahmen an, daß der Äther von der bewegten Erde vollständig mitgeführt werde, wie es auch der elastischen Theorie von Stokes und der elektromagnetischen Theorie von Hertz entspricht. Michelson untersuchte, ob sich ein Unterschied der Lichtgeschwindigkeit in verschiedenen Höhen über dem Erdboden feststellen lasse, aber ohne positives Ergebnis. Er folgerte daraus, daß sich die Bewegung des von der Erde mitgenommenen Äthers in sehr große Höhen über der Erdoberfläche erstrecken müsse. Dann würde also der Äther von einem bewegten Körper auf beträchtliche Entfernungen beeinflußt." <12>

Als weiteres Argument gegen die vollständige Mitführung wurden die Experimente benutzt, deren Ergebnis als Beweis für eine teilweise Mitführung gedeutet werden kann. Hierzu gehören z. B. der Mitführungsversuch von Fizeau (4.11.3) wie überhaupt alle Experimente mit bewegten (!) Versuchskörpern der Elektrodynamik und Optik.

An einer Aussage von Max Born wird das entstandene ,,Dilemma" besonders deutlich: ,,Alle diese Bemühungen", (zur Erklärung der vollständigen Mitführung), ,,erscheinen fast überflüssig, denn hätten sie selbst zu einer einwandfreien Erklärung des Michelson-Versuches geführt, so bliebe die ganze übrige Elektrodynamik und Optik bewegter Körper unerklärbar, die durchweg für teilweise Mitführung spricht." <12>

Max Born spricht hier allgemein von der Elektrodynamik bewegter Körper ohne aber zu wissen und zu beachten, auf welche Bewegung es in diesem Falle ankommt.