Spur eines Jahrhundertirrtums

Inhalt
<< (4.5) Was steckt da in dem Raume drin?
>> (4.7) "Wechselwirkungsprinzip" und "Wechselwirkungssystem"

4.6 Das undefinierbare "Inertialsystem" und die Ursache der Trägheit

Mit dem Begriff "Inertialsystem" verbindet sich die Absicht, die Trägheit und ihre vermeintliche Ursache allgemein zu definieren und zu erfassen. Doch dieser Begriff ist so wirklichkeitsfern und in sich so widersprüchlich und selbsttötend, daß er gar nicht allgemein anwendbar ist und faktisch nur durch irreführendes Wortspiel das Wesen der Trägheit verschleiert.

Die Eigenschaft "Trägheit" zeigt ein Körper erfahrungsgemäß bei einer sogenannten "beschleunigten" Bewegung. Was aber ist eine beschleunigte Bewegung? Gegen welches Bezugssystem muß ein Körper beschleunigt werden, damit er "träge" wirkt? Worin besteht das wahre physikalische Wesen der Trägheit eines Körpers?

Kurzdefiniert sagt man: Ein Inertialsystem ist ein gleichförmig geradlinig bewegtes Bezugssystem, in dem das Trägheitsgesetz so wirkt, als ob das System ruht, (als sei es der ruhende Mittelpunkt der Welt).

Und so kann man sich das "Inertialsystem" idealisiert vorstellen:

Setzen wir uns gedanklich in das Abteil eines mit "gleichförmiger, geradliniger Geschwindigkeit" (bezüglich der Erde) dahinfahrenden Eisenbahnwagens. Eine herumsummende Fliege, der aufsteigende Zigarrenrauch, das aus dem Gepäcknetz herabhängende Pendel, der im Becher rotierende Kaffee, der innere Mechanismus einer empfindlichen Uhr und selbst die Fahrgäste bewegen sich, als stünde der Eisenbahnwagen still. Der Wagen ist das Bezugssystem, dessen Geschwindigkeit keinen Einfluß auf sich darin abspielende Vorgänge haben soll. Dieses Bezugssystem heißt Trägheits- oder Inertialsystem, weil hier das Trägheitsgesetz, wie man so sagt, uneingeschränkte Gültigkeit hat.

Unsere Erfahrungen bestätigen, daß auf der Erde und sicher auch auf anderen Himmelskörpern unendlich viele derartige Inertialsysteme denkbar und praktisch wirksam sind.

Als unhaltbar betrachten wir die allgemein übliche Behauptung, daß die Geschwindigkeit des "Inertialsystems" keinen Einfluß auf die sich in ihm abspielenden Vorgänge hat. Möglicherweise sind die Einflüsse so klein, daß man sie nicht zur Kenntnis nehmen kann, muß oder möchte. Es ist in diesem Zusammenhang bereits hier darauf verwiesen, daß auch die "Abhängigkeit der Masse von der (gleichförmig geradlinigen) Geschwindigkeit" als "Trägheitseigenschaft" erklärbar sein wird, II(1.6.6)

"Brockhaus abc Astronomie" definiert und erläutert den Begriff "Inertialsystem" ausführlich so:

"Inertialsystem, ein Koordinatensystem, in dem das Trägheitsgesetz gilt, nach dem jeder Körper, der keinen äußeren Kräften unterworfen ist, in Bezug auf das Inertialsystem im Zustand der Ruhe verharrt oder sich in geradliniger, gleichförmiger Bewegung befindet. Jedes andere Koordinatensystem, das gegen ein Inertialsystem eine geradlinige, gleichförmige Bewegung ausführt, ist ebenfalls ein Inertialsystem, hingegen sind gegen die Inertialsysteme rotierende Systeme selbst keine Inertialsysteme. Eine recht gute Annäherung an ein Inertialsystem stellt das System der Fundamentalsterne dar. Im strengen Sinne ist es aber kein Inertialsystem, da die Fundamentalsterne an der Rotation des Milchstraßensystems teilnehmen und damit auch das von ihnen gebildete Koordinatensystem eine Rotation besitzt. In neuerer Zeit versucht man, durch Anschluß der Fundamentalsterne an extragalaktische Sternsysteme ein Inertialsystem festzulegen, in dem man die Gesamtheit der extragalaktischen Sternsysteme als im Raum ruhend ansieht und relativ zu ihnen die Positionen der Fundamentalsterne bestimmt."

Aus dieser Definition spricht das Bemühen um ein übergeordnetes Koordinatensystem mit grundlegender Raumorientierung. Ein solches "bevorzugtes" Bezugssystem ist "erforderlich", weil ja die fernen Massen für die Trägheit der Körper verantwortlich sein sollen. Somit "muß" auch aus dieser Sicht beurteilt werden, welche Bewegungsart ein anderes System hat und ob es also ebenfalls ein Inertialsystem ist oder nicht.

Doch die Natur hält sich nicht einmal näherungsweise an diese Definition. Alles rotiert im System der Fixsterne, sogar das System selbst. Die laut Definition für ein Inertialsystem geforderte geradlinige, gleichförmige Bewegung findet in der Natur nicht statt. Das Sonnensystem z.B., als Bestandteil der Galaxis, umläuft das galaktische Zentrum mit einer Geschwindigkeit von 250 km/s. Die Erde bewegt sich dabei zusätzlich mit einer Bahngeschwindigkeit von 30 km/s um die Sonne und dreht sich außerdem täglich einmal um sich selbst.

Gesteht man nun einem Eisenbahnwagen, gegenüber der Erde als Bezugssystem, eine geradlinige, gleichförmige Bewegung zu, so führt dennoch das Bezugssystem Eisenbahnwagen im Bezugssystem des "erhöhten" Beobachters eine sehr krummlinige und ungleichförmige Bewegung aus. Strenggenommen wird laut Definition nur einem einzigen Inertialsystem ein Daseinsrecht zuerkannt, theoretisch dürfte es kein zweites geben.

Einige Trägheitserscheinungen lassen sich durch die Annahme eines quasi absoluten Inertialsystems erklären. Dazu gehören z.B der Newton'sche Eimerversuch und das Foucaultsche Pendel, die räumliche Stabilität schnell rotierender Kreisel und die scheinbare Trägheitskraft auf bewegte Körper in rotierenden Bezugssystemen (Corioliskraft).

Doch gegenüber welchem Bezugssystem bleibt die Raumorientierung dieser Körper erhalten? Man weiß, daß sie gegenüber der rotierenden Erde eine Abweichung erfährt. Aber die Lage eines vollkardanischen Kreisels ist auch nicht gegenüber dem System der Fixsterne stabil.

So nimmt man, durch die Umstände genötigt, das "lnertialsystem" so großzügig wie man es braucht und interpretiert nach Belieben <7>:

"Die Experimente zeigen, daß ein System, in dem die Sonne ruht, zumindest in ausgezeichneter Näherung ein Inertialsystem darstellt. Ein mit der Erde fest verbundenes Bezugssystem ist vor allem wegen der Rotation der Erde um ihre eigene Achse kein Inertialsystem; jedoch kann man häufig auch von den dadurch bewirkten Effekten absehen. Die Erfahrung zeigt, daß alle gleichförmig, d.h. mit konstanter Relativgeschwindigkeit der Bezugskörper, gegeneinander bewegten Bezugssysteme völlig gleichwertig sind. Ist eins von ihnen ein Inertialsystem, so sind daher alle Inertialsysteme. Inertialsysteme sind Bezugssysteme, in denen alle Orte, Richtungen und Zeiten physikalisch gleichwertig sind. Man sagt dann, der Raum sei homogen und isotrop, die Zeit homogen. Die Existenz solcher Systeme ist eine Erfahrungstatsache und keine Selbstverständlichkeit."

Es ergeben sich grundsätzliche Fragen: Wo liegen die Ursachen dafür, daß manche Trägheitserscheinungen durch die Annahme eines absoluten Raumes erklärbar sind? Wodurch wird ein Kreisel aus seiner "stabilen" Raumorientierung abgelenkt? Wodurch ist erklärbar, daß unendlich viele Bezugssysteme wie ein Inertialsystem wirken, obwohl sie laut Definition gar kein Inertialsystem sind?

Liegt die Ursache der Trägheit überhaupt in der Bewegungsart der Körper gegenüber dem absoluten Raum, oder den Fixsternen, oder den fernen Massen, oder einem sich irgendwie bewegenden undefinierbaren Inertialsystem? Soll die Trägheit tatsächlich als eine durch das "Feld" vermittelte nichtstoffliche Wirkung zwischen dem Körper und den fernen Massen verstanden werden? Vielleicht ist das Wesen der Trägheit durch die Bewegung der Körper gegenüber der latenten Materie, die ebenfalls bewegt ist, als direkte stoffliche Wechselwirkung (Nahwirkung) erklärbar?

Wir wollen nun versuchen, das "Inertialsystem" und seine undefinierbaren Wirkungen mit dem "Wirbelprinzip" (3.3) erklärbar zu machen. Vielleicht ist dazu zunächst ein kleines Gedankenexperiment nützlich:

Man stelle sich ein sehr weitmaschiges Sieb vor und bewege es durch eine Flüssigkeit. Oder umgekehrt, weil es sich technisch besser auswerten läßt: wir befestigen dieses Sieb in einem Strömungskanal und messen die Kraft, die infolge der stofflichen Wechselwirkung zwischen Flüssigkeit und Sieb in Abhängigkeit von der gleichförmigen (!) Bewegung auftritt.

Wir formulieren die mit Sicherheit zu erwartenden Erkenntnisse:

Mögliche Erklärung: Beim Übergang zu einer anderen Geschwindigkeit muß sich der Durch- und Umströmungszustand neu formieren, auftretende Turbulenzen vergrößern nur zeitweilig den Strömungswiderstand.

Diese simplen Alltagserkenntnisse sind hier nicht ganz ohne Absicht so ausführlich dargestellt worden, denn es ergibt sich die Frage: Lassen sich diese Erkenntnisse auch auf die Wechselwirkung der Körper mit der latenten Materie anwenden?

Für die Wechselwirkung mit der latenten Materie ist der atomare Aufbau der Körper mit einem außerordentlich weitmaschigen Sieb vergleichbar. Die Ausmaße eines Atomkerns betragen 10-13 bis 10-12 cm, die Elektronen umkreisen den Kern in einer Entfernung von etwa 10-8 cm. Wählt man zum Vergleich den Kernradius 5 mm, dann hätte das Elektron einen Durchmesser von 1 mm und die Elektronenbahn den Durchmesser 100 m (!). Zwischen dem Atomkern und den Elektronen, die ihn umkreisen, gibt es so unvorstellbar viel Platz, daß z.B. die Lichtwellen den kristallinen Aufbau des Glases und die kurzwelligeren Röntgenstrahlen alle anderen Körper fast ungehindert durchdringen können.

Die latente Materie ist mit einer idealen Flüssigkeit vergleichbar. Die Strömungstheorie für ideale Flüssigkeiten besagt, daß ein Körper, der sich gleichförmig durch eine unendlich ausgedehnte Flüssigkeit bewegt, keinen Widerstand erfährt. (d' Alembertsches Paradoxon).

Nun stellen wir uns nach dem Prinzip "Wirbel in Wirbeln" (3.3) die Erde im Zentrum eines differentiell rotierenden Wirbels der latenten Materie vor. Dieser Wirbel wird allseitig von außen nach innen gebremst, so daß die Erde schneller rotiert als die äußeren Bestandteile des Wirbels. Die nördliche Hälfte des latenten Wirbels wird dadurch gegenüber der Erdoberfläche rechtsherum verdrillt, die südliche linksherum. An der Erdoberfläche dürfte nur eine sehr geringe oder gar keine Relativbewegung der latenten Materie gegenüber der Erde nachweisbar sein; die Erde wird im Zentrum des Wirbels "mitgeführt", weil sich die Erdrotation im Laufe der Zeit der rotierenden Materie angeglichen hat.

Aus unserem Analogiebestreben ergeben sich grundsätzliche Folgerungen:

Speziell auf irdische Erscheinungen angewendet, bedeutet das z.B.:

Diese Erscheinung, längst erkannt aber bisher gedeutet als eine durch den Raum oder die fernen Massen bewirkte Trägheitskraft, wurde nach ihrem Entdecker benannt: Corioliskraft. Ausführlich in II(3.5)

Fazit: Der Begriff "Inertialsystem" entstand aus dem Zwang, Beobachtungstatsachen und vermeintliche Ursachen der Trägheit auf einen allgemeinen Nenner zu bringen. Dabei war man "gezwungen", weil keine anderen Ursachen im Weltgebäude ersichtlich waren, allein die Bewegung beliebiger Bezugssysteme untereinander für die Trägheit verantwortlich zu machen. Weil unter diesen Voraussetzungen das "Inertialsystem" undefinierbar ist, sind bisherige "Erklärungen" nur Aufzählung zusammenhangloser Fakten.

Die Ursache der Trägheit ist nicht durch die Bewegung beliebiger Bezugssysteme unter sich definierbar, sondern nur als stoffliche Wechselwirkung der gegenüber der latenten Materie bewegten Körper bei Beachtung aller konkreten örtlichen Wechselwirkungsbedingungen.


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