4.12.1 Elektromagnetische Lichttheorie von Maxwell
4.12.2 Heinrich Hertz vervollkommnet die Maxwell'sche Theorie
4.12.3 Elektronentheorie von Lorentz
James Clerk Maxwell (1831-1879) erfaßte
und ergänzte die Erkenntnisse Faraday's über die Erscheinungen
des elektromagnetischen Feldes zu den berühmten ,,Maxwell'schen Gleichungen".
Diese Gleichungen verbinden die Elektrizität, den Magnetismus und
die Optik zu einem einheitlichen Ganzen; daher spricht man auch von Maxwell's
elektromagnetischer Lichttheorie, oder von der Faraday-Maxwell'schen Theorie.
Maxwell's bedeut-same Schlußfolgerung
1864: ,,Wenn sich ein elektromagnetisches Feld wie eine Lichtwelle ausbreitet,
dann ist das Licht nichts anderes als eine elektromagnetische Welle, dann
ist das Licht elektromagnetischer Natur und folgt elektromagnetischen Gesetzen."
Über seinen Anteil an der daraus erwachsenen Theorie der Elektrodynamik äußerte sich Maxwell: ,,Ich habe dieses Werk speziell mit der Hoffnung unternommen, daß es mir gelingen könnte, seinen (d.h.Faraday's) Ideen und Methoden mathematischen Ausdruck zu verleihen." <59>
Die Maxwell'schen Gleichungen werden durch viele Autoren als so vollkommen und allgemeingültig hingestellt, als ob aus ihnen die tatsächliche Beschaffenheit der Welt abzuleiten sei. Ihre Rechtfertigung beruht jedoch wie bei allen Modellvorstellungen und empirisch gewonnenen Gesetzen darin, daß sie die Erscheinungen nur in einem begrenzten Geltungsbereich erfassen und vorhersagen können.
Insbesondere wird Maxwell unterstellt, daß er die Trennung der stofflichen von der nichtstofflichen Materie in die Wissenschaft eingeführt habe. Maxwell wird heute als Geburtshelfer der ,,Verselbständigung" des Feldbegriffs bezeichnet. Es wird behauptet, die Maxwell'schen Gleichungen würden beweisen, daß die elektromagnetischen Wellenselbständig existieren können, in ihnen gäbe es keine stofflichen Merkmale, keine Spur von einem Träger der elektromagnetischen Wellen, der ,,Äther" sei ,,vor der Tür der Maxwell'schen Gleichungen stehengeblieben".
Eine eigenartige Logik wird zur ,,wissenschaftlichen
Tugend": Mit der mathematischen Modellierung eines materiellen Vorganges
wird die Materie überflüssig, das Modell selbst wird zur unerklärbaren
Materie.
Manche Theoretiker sehen sich durch Maxwell
vom ,,Erklärungsnotstand" befreit. ,,Die Vorgänge werden", wie
man hört, ,,durch die Maxwell'schen Gleichungen gut verstanden und
erfordern keine nähere Erklärung."
Sind Maxwell's Gleichungen und Aussagen wirklich nicht näher erklärbar oder wurde ihnen ihre wahre Natur nur nachträglich ,,abgesprochen"? Was Maxwell selbst gewollt hat, muß man deutlich trennen von dem, was seine Nachfolger aus unterschiedlichen Motiven daraus gemacht haben.
Für Maxwell waren die durch das elektromagnetische Feld beschriebenen Erscheinungen, die er durch sein abstrakt-mathematisches Modell erfaßt hatte, besondere Zustände des stofflichen Äthers. Er verstand den Feldbegriff als Modell- und Hilfsvorstellung zur Veranschaulichung der äußeren, meßbaren Erscheinungen. Maxwell selbst hat mechanische Modelle für denkbare Bewegungsvorgänge im Äther angegeben und angewendet. In einem seiner Modelle werden z. B. sechseckige ,,Molekularwirbel" durch ,,Leiträdchen" in Bewegung gesetzt.
Noch sieben Jahre nach Ausarbeitung seiner
Theorie schrieb Maxwell:
,,Ich werde alles daran setzen, um die
Wechselbeziehungen zwischen der mathematischen Form dieser Theorie und
der mathematischen Form der fundamentalen Wissenschaft von der Dynamik
so klar wie nur möglich darzustellen, damit wir uns einigermaßen
für die Auswahl jener dynamischen Modelle vorbereiten, mit deren Hilfe
wir die elektromagnetischen Erscheinungen illustrieren und zu erklären
suchen." <49>
Weil sich Maxwell (so primitiv!) als Erfinder von mechanischen Modellen des elektromagnetischen Feldes betätigte, wird auch behauptet, er habe seinen Beitrag zur Entwicklung einer neuen wissenschaftlichen Methode selbst gar nicht als solchen begriffen. Doch die Verselbständigung des Feldbegriffs, d. h. dessen Loslösung von der stofflichen Materie, war nie Maxwell's Absicht. Das ,,Verdienst" der Verselbständigung des Feldbegriffs wird allein Albert Einstein vorbehalten sein.
Maxwell wirkte zu einer Zeit, in der sich die Wissenschaften und die Produktionsweisen stürmisch entwickelten. Die Theorie strebte nach vereinheitlichenden Erkenntnissen, und die Praxis verlangte nach anwendbaren Ergebnissen. Die Frage nach der wirklichen Beschaffenheit der Natur wurde zunehmend verdrängt von der viel ,,ökonomischeren" Frage:
Wie kann man die Gesetze der Natur auf einfachste Weise zu höchstem Nutzen anwenden?
Aus dieser ,,Not" erklärt sich auch die zunehmende Bereitschaft zur Anerkennung von Modellen jeglicher Art. Dieser Umgang mit der Natur ist allgemein üblich und nützlich, und prinzipiell ist dagegen nichts einzuwenden, solange man das Modell nicht nachträglich und rückwirkend zur physikalischen Wirklichkeit erklärt.
Was ist nun eigentlich neu an der ,,elektromagnetischen Lichttheorie" Maxwell's gegenüber der Theorie des ,,elastischen" Äthers?
Dazu Max Born: ,,Was nun die mehr geometrischen Gesetze der Optik anbelangt, Reflexion und Brechung, Doppelbrechung und Polarisation in Kristallen usw., so verschwinden in der elektromagnetischen Lichttheorie alle die Schwierigkeiten, die für die Theorien vom elastischen Äther schier unüberwindlich waren. Dort war es vor allem die Existenz longitudinaler Wellen, die beim Durchgang des Lichts durch die Grenzfläche zwischen zwei Medien zum Vorschein kamen und nur durch ganz unwahrscheinliche Hypothesen über die Konstitution des Äthers beseitigt werden konnten. Die elektromagnetischen Wellen sind immer streng transversal. Damit fällt diese Schwierigkeit fort." <12>
Einspruch! Bei Ausbreitung einer elektromagnetischen Welle schwingen die ,,Teilchen" in Wirklichkeit nicht streng transversal, aber in den Maxwell'schen Gleichungen werden sie zugunsten einer eleganten mathematischen Erfassung als streng transversal angenommen.
Gemäß der in (4.10.3) und (4.14.1) vorgestellten Anregungsart haben die ,,Teilchen" eine transversale und eine longitudinale Komponente.
Die Theorie des ,,elastischen" Äthers (4.10.3) kann die transversale Komponente nicht erklären, und in den Maxwell'schen Gleichungen wird die longitudinale Schwingungskomponente unterschlagen. Poynting machte dieses ,,Versäumnis" später wieder gut. Mit Hilfe eines von ihm 1884 zuerst formulierten Satzes folgt aus den Maxwell'schen Gleichungen die zusätzliche Aussage, daß eine Lichtwelle, die auf einen absorbierenden Körper auftrifft, auf diesen einen Druck (Strahlungsdruck) ausübt.
Weiter Max Born: ,,Maxwell hat seinen Betrachtungen den Begriff der Verschiebung zugrunde gelegt. Er wurde anschaulich so gedeutet, daß in den kleinsten Teilchen der Molekeln des Äthers geradeso wie in den Molekeln der Materie eine wirkliche Verschiebung und Scheidung der elektrischen (oder magnetischen) Fluida eintritt. Diese Vorstellung ist, soweit sie den Vorgang der elektrischen Polarisation der Materie betrifft, sehr gut begründet; denn daß die Materie molekular konstituiert ist und daß jede Molekel verschiebbare Ladungen trägt, ist durch zahllose Erfahrungen sichergestellt. Aber für den freien Äther ist das keineswegs so; hier ist der Maxwellsche Begriff der Verschiebung rein hypothetisch und hat nur den Wert, die abstrakten Gesetze des Feldes zu veranschaulichen. Diese Gesetze besagen, daß mit jeder zeitlich veränderlichen Verschiebung die Entstehung eines elektromagnetischen Kraftfeldes ringsum verknüpft ist."
,,Kann man sich von diesem Zusammenhang ein mechanisches Bild machen? Besonders erfinderisch in dieser Richtung war William Thomson (Lord Kelvin), der unablässig bemüht war, die elektromagnetischen Erscheinungen als Wirkungen verborgener mechanischer Bewegungen und Kräfte zu verstehen. Der rotatorische Charakter des Zusammenhangs zwischen elektrischem Strom und magnetischem Feld und umgekehrt legt es nahe, den elektrischen Zustand des Äthers als lineare Verschiebung, den magnetischen als Drehung um eine Achse aufzufassen, oder umgekehrt." (Max Born: Die Relativitätstheorie Einsteins). <12>
Was möge sich Maxwell wohl gedacht haben, als er für den ,,freien Äther" den Begriff der ,,Verschiebung" einführte? Sollte er es nicht für möglich gehalten haben, daß dort wirkliche Verschiebungen von Materiezuständen ablaufen? Was möge sich Max Born wohl gedacht haben, wenn er so überzeugt formuliert ,,für den freien Äther ist das keineswegs so"?
Vom Wesen der ,,elektrischen und magnetischen Fluida" haben wir keine Ahnung. Weshalb sollten sich die kleinsten Molekeln einer lichttragenden latenten Materie nicht zueinander verschieben können und Druckunterschiede und Strömungen und Wirbel erzeugen? Vielleicht liegt gerade darin das Geheimnis der ,,elektrischen und magnetischen Fluida"?
Zur Aussage der Maxwell'schen Gleichungen:
Integralform |
Differentialform |
---|---|
1) |
|
2) |
|
3) |
|
4) |
|
zu 1): |
Jede zeitliche Änderung der
Magnetflußdichte (magnetische Verschiebung) bewirkt in der Umrandung
der durchsetzten Fläche eine dem Sinn der Rechtsschraube entgegengerichtete
elektrische Spannung.
|
zu 2): |
Jeder elektrische Strom, ( Leitungs- oder Verschiebungsstrom), verursacht in der Umrandung der von ihm durchsetzten Fläche eine in Rechtsschraubenrichtung wirkende magnetische Ringspannung. Der Vektorpfeil C ist Achse eines Wirbeis magnetischer Feldlinien. (Durchflutungssatz). |
zu 3): |
Der Gesamtmagnetfluß durch eine geschlossene Fläche ist Null. D. h.: Durch jede geschlossene Fläche tritt ebensoviel magnetische Verschiebung ein wie aus; das magnetische Feld ist quellenfrei, die magnetischen Feldlinien sind in sich geschlossen, es gibt keine freien magnetischen Pole. |
zu 4): |
Der Verschiebungsfluß, der zu einem gegebenen Zeitpunkt eine geschlossene Fläche durchsetzt, ist gleich der zu diesem Zeitpunkt von der Fläche eingeschlossenen Ladung. Die D-Linien beginnen und enden auf Ladungen. |
Manche Beziehungen zwischen den elektromagnetischen Erscheinungen können zweckmäßig durch den ,,Stokes'schen Satz" bzw. ,,Gauß'schen Satz" mathematisch erfaßt werden.
Stokes'scher Satz: Das Linienintegral
eines Vektors über eine geschlossene Kurve ist gleich dem Fluß
des Vektors durch alle in diese Kurve eingespannten Teilflächen. Mathematisch
bedeutet der Stokes'sche Satz:
Umwandlung eines Flächenintegrals
in ein Linienintegral und umgekehrt.
Für die magnetische Feldstärke
gilt z. B.:
Physikalisch kann man sich darunter z.B.
das Magnetfeld um parallele stromdurchflossene Leiter vorstellen, (Wirbelkombination
aus Einzelwirbeln).
Gauß'scher Satz: Der Fluß
eines Vektors durch eine geschlossene Fläche ist gleich dem Integral
der Divergenz des Vektors über das ganze von dieser Fläche umhüllte
Volumen. Mathematisch bedeutet der Gauß'sche Satz:
Umwandlung eines Raumintegrals in ein
Flächenintegral und umgekehrt.
Für die Verschiebungsdichte gilt
z. B.:
Hier bedeuten: div D die ,,Quelldichte"
(differentielle Ladungsdichte), die linke Gleichungsseite die Gesamtladung
des betrachteten Volumens, die rechte Seite der aus dem Volumen austretende
Verschiebungsfluß.
Materialeigenschaften: Die 5 Feldvektoren
E, D, G, B und H sind durch drei Materialkenngrößen verknüpft.
Die Leitfähigkeit kennzeichnet
den Zusammenhang zwischen der ohmschen Leitungsstromdichte und der elektrischen
Feldstärke: .
Die Dielektrizitätskonstante
kennzeichnet den Zusammenhang zwischen der dielektrischen Verschiebung
und der elektrischen Feldstärke:
.
Die magnetische Leitfähigkeit
µ kennzeichnet die Abhängigkeit der Magnetflußdichte
B von der magnetischen Feldstärke H:
Das Vakuum, der als ,,stofflich leer" angenommene
Raum, (nicht bei Maxwell!), hat die ,,Materialeigenschaft"
und
Man bezeichnet tugendhaft µ0
und o auch als
Feldkonstanten des ,,leeren" oder ,,freien" Raumes. Es sei noch erwähnt,
daß auch der Feldwellenwiderstand des ,,freien" Raumes Z und die
,,Vakuumlichtgeschwindigkeit" c aus µo und
0
bestimmbar sind:
Es ist bemerkenswert, daß die dielektrische ,,Verschiebung" der Materie und die ,,Materialkonstanten" direkt oder verborgen in der Aussage jeder Gleichung enthalten sind. Aber heute befinden wir uns in der mißlichen Lage, nicht angeben zu können (und zu dürfen!), was sich hierbei eigentlich verschiebt. ,,Wir wissen es nicht", sagen in gewohnter, leicht peinlicher Verlegenheit die einen; ,,ein Zustand verschiebt sich", sagen andere; ,,es ändern sich die Kenngrößen des nichtstofflichen, selbständigen, nicht weiter reduzierbaren elektromagnetischen Feldes", sagen die Erhabenen.
Wir finden bestätigt, daß die
Maxwell'schen Gleichungen in dem ihnen als Modell zugeordneten Geltungsbereich
nur äußere Erscheinungen bzw. sekundäre Wirkungen der latenten
Materie mathematisch erfassen und beschreiben. Die ,,Naturkonstanten" µo
und 0 sind stoffliche
Merkmale der latenten Materie. Nicht die stoffliche Welt oder der ,,Äther"
sind ,,vor der Tür" der Maxwell'schen Gleichungen stehengeblieben,
sondern es blieben zunächst die noch nicht erkannten physikalischen
Hintergründe der in den Gleichungen erfaßten Erscheinungen unberücksichtigt.
Diejenigen, die heute eine elektromagnetische Erscheinung allein dadurch hinreichend ,,begründet" sehen, daß sie aus einem nützlichen Formelsystem ableitbar ist, möchten dennoch nicht verkennen, durch welche Motive, Erkenntnisse und Vermutungen Maxwell und andere Denker seiner Zeit zu diesem idealisierten Formelsystem gelangt sind.
Heinrich Hertz (1857-1894) hat die durch Maxwell vorausgesagten elektromagnetischen Wellen 1887 experimentell nachgewiesen. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Wellen entsprach der Lichtgeschwindigkeit. Hertz konnte auch die geradlinige Wellenausbreitung, die Reflexion, die Brechung und die Polarisation nachweisen. Er gab der Maxwell'schen Theorie die endgültige mathematische Form, weshalb diese gelegentlich auch als Theorie von Maxwell und Hertz bezeichnet wird.
Faraday (1791-1867), Maxwell (1831-1879) und Hertz (1857-1894) stellen eine gewisse ,,Dreieinigkeit" dar: Faraday, der bahnbrechende Experimentator, der zur Formulierung seiner Erkenntnisse nie eine mathematische Formel benutzte; Maxwell, ein mathematisches Genie, der die Erkenntnisse Faradays in Formeln kleidete und dabei zu einigen verallgemeinernden Schlußfolgerungen gelangte und schließlich Heinrich Hertz, der dieses Gemeinschaftswerk weiter experimentell bestätigte und theoretisch vervollkommnete.
In ihrem Denken und Tun waren Faraday, Maxwell und Hertz durch einen Grundgedanken verbunden: Sie waren Anhänger der damals anerkannten und verbreiteten Ätherauffassungen und bedienten sich des Feldbegriffs als Hilfsvorstellung zur Veranschaulichung der äußeren Erscheinungen noch zu erkennender Ätherwirkungen.
In neuzeitlichen Verlautbarungen wird diese Wahrheit entweder völlig unterschlagen, weil sie nicht in das moderne Weltbild paßt, oder man gesteht Faraday, Maxwell und Hertz nachsichtig zu, daß sie sich selbst und ihre wissenschaftliche Großleistung gar nicht begriffen haben.
Max Born zur Hertz'schen Theorie: ,,Heinrich Hertz hat die Hypothese von der vollständigen Mitführung des Äthers auf die Maxwellschen Gleichungen übertragen. Seine Theorie kennt nur relative Bewegungen der Körper, wobei der Äther ebenfalls ein Körper ist. In einem translatorisch bewegten System laufen nach Hertz alle Vorgänge genau so ab, als wenn es ruhte." <12>
Das sind wieder unzutreffende Verallgemeinerungen, mit denen die Widersprüche vorprogrammiert sind. Heinrich Hertz meint natürlich, daß die Erde den Äther vollständig mitführt. Und diese irrige Annahme wird dann sogleich allgemein auf ,,ein translatorisch bewegtes System" übertragen; wodurch die Versuche mit erwiesener teilweiser Mitführung, bei denen sich das Versuchsobjekt an der Erdoberfläche gegenüber einer erdfesten Versuchsapparatur bewegt, wieder nicht erklärbar wären.
Wir können konkreter und widerspruchsfrei formulieren: Nach der Wirbelauffassung wird die Erde im Zentrum eines differentiell rotierenden Wirbels vollständig mitgeführt. Eine an der Erdoberfläche ruhende Versuchsanordnung mit dem in ihr ruhenden Versuchskörper wird von der latenten Materie vollständig mitgeführt; der an der Erdoberfläche gegenüber der Erde bewegte Versuchskörper führt die latente Materie teilweise mit.
Auch die Hertz'sche Theorie mußte scheitern, weil Heinrich Hertz mit der Ruhe und Bewegung ,,seines" Äthers konkret nichts anzufangen wußte. Es wurde ,,vollständige Mitführung" des Äthers angenommen, ohne genau zu wissen und zu definieren, unter welchen konkreten Umweltbedingungen diese ,,Mitführung" auftreten sollte. So konnte auch diese Theorie die scheinbaren Widersprüche zwischen vollständiger und teilweiser Mitführung nicht erklären oder überbrücken.
Dennoch war Heinrich Hertz der vermeintlichen physikalischen Wahrheit sehr nahe, zumindest befand er sich wohl auf der richtigen Spur, weil er die Lösung der Widersprüche in ihren inneren, materiellen Ursachen suchte. Einige Gedanken aus einem Vortrag, den Heinrich Hertz vor der 62. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte 1889 in Heidelberg gehalten hat, verdeutlichen das Hertz'sche Denken und die damalige Situation in der Physik in besonders eindrucksvoller Weise und seien in Teilen vorgestellt:
,,Die Wellentheorie des Lichts ist, menschlich gesprochen, Gewißheit; was aus derselben mit Notwendigkeit folgt, ist ebenfalls Gewißheit. Es ist also auch gewiß, daß aller Raum, von dem wir Kunde haben, nicht leer ist, sondern erfüllt von einem Stoffe, welcher fähig ist, Wellen zu schlagen, dem Äther."
,,Aber so bestimmt auch unsere Kenntnisse von den geometrischen Verhältnissen der Vorgänge in diesem Stoffe sind, so unklar sind noch unsere Vorstellungen von der physikalischen Natur dieser Vorgänge, so widerspruchsvoll zum Teil unsere Annahmen über die Eigenschaften des Stoffes selbst."
,,Naiv und unbefangen hatte man von vornherein die Wellen des Lichtes, sie mit denen des Schalles vergleichend, als elastische Wellen angesehen und behandelt. Nun sind aber elastische Wellen in Flüssigkeiten nur in der Form von Longitudinalwellen bekannt. Elastische Transversalwellen in Flüssigkeiten sind nicht bekannt; die sind nicht einmal möglich; sie widersprechen der Natur des flüssigen Zustandes."
,,Also war man zu der Behauptung gezwungen, der raumerfüllende Äther verhalte sich wie ein fester Körper. Betrachtete man dann aber den ungestörten Lauf der Gestirne und suchte sich Rechenschaft von der Möglichkeit desselben zu geben, so war wiederum die Behauptung nicht zu umgehen, der Äther verhalte sich wie eine vollkommene Flüssigkeit. Nebeneinander bildeten beide Behauptungen einen für den Verstand schmerzhaften Widerspruch, welcher die schön entwickelte Optik entstellte."
Heinrich Hertz sucht und ahnt den inneren
Zusammenhang;
,,Da liegt nahe vor uns die Frage nach
den unvermittelten Femwirkungen überhaupt. Gibt es solche? Von vielen,
welche wir zu besitzen glaubten, bleibt uns nur noch eine, die Gravitation.
Täuscht uns auch diese? Das Gesetz, nach welchem sie wirkt, macht
sie schon verdächtig. In anderer Richtung liegt nicht ferne die Frage
nach dem Wesen der Elektrizität. Von hier gesehen, verbirgt sie sich
hinter der bestimmteren Frage nach dem Wesen der elektrischen und magnetischen
Kräfte im Raume. Und unmittelbar an diese anschließend erhebt
sich die gewaltige Hauptfrage nach dem Wesen, nach den Eigenschaften des
raumerfüllenden Mittels, des Äthers, nach seiner Struktur, seiner
Ruhe oder Bewegung, seiner Unendlichkeit oder Begrenztheit. Immer mehr
gewinnt es den Anschein, als überrage diese Frage alle übrigen,
als müsse die Kenntnis des Äthers uns nicht allein das Wesen
der ehemaligen Imponderabilien offenbaren, sondern auch das Wesen der alten
Materie selbst und ihrer innersten Eigenschaften, der Schwere und der Trägheit.
Der heutigen Physik liegt die Frage nicht
mehr ferne, ob nicht etwa alles, was ist, aus dem Äther geschaffen
sei."
,,Nehmt aus der Welt die Elektrizität, und das Licht verschwindet; nehmt aus der Welt den lichttragenden Äther, und die elektrischen und magnetischen Kräfte können nicht mehr den Raum überschreiten. Dies ist unsere Behauptung."
(Heinrich Hertz: Über die Beziehungen
zwischen Licht und Elektrizität; Alfred Körner Verlag, Leipzig
1923).
Hendrik Antoon Lorentz (1853-1928) vereinigte die elektromagnetische Lichttheorie Maxwell's mit den damaligen Auffassungen über die Elektronen. Nach der Elektronentheorie bestehen alle elektromagnetischen Vorgänge aus der Wechselwirkung von Elektronen mit dem Äther. Dabei rufen die elektromagnetischen Wellen die Bewegungen der Elektronen hervor, andererseits werden die elektromagnetischen Wellen durch die Bewegungen der Elektronen verursacht.
Auch für Lorentz sind also die elektromagnetischen Wellen ein Schwingungsvorgang in einem stofflichen Medium, dem Äther. Er nahm an, daß der Äther an der Bewegung der Körper nicht teilnimmt und daß die Teile des Äthers auch keine (großräumige) Relativbewegung zueinander haben. Der Äther erscheint somit als Verkörperung eines absolut ruhenden Raumes. Das ist wieder ein Rückschritt gegenüber den Auffassungen von Heinrich Hertz, der die Vermutung aussprach, die Lösung der Geheimnisse der Welt in den Bewegungseigenschaften des Äthers zu finden.
Bei Fresnel wird der Äther im Innern bewegter Körper teilweise mitgeführt, was durch Fizeau bestätigt wurde (4.11.3); Heinrich Hertz nimmt vollständige Mitführung an, weil auch einige Tatsachen dafür sprechen; bei Lorentz gibt es gar keine Mitführung des Äthers. Aber jeder kann auf seine Weise, Unpassendes wird ignoriert, ausgewählte elektromagnetische Erscheinungen beschreiben, weil ja, wie wir nun wissen, in Abhängigkeit von den konkreten Versuchsbedingungen, alle drei Varianten auftreten können; man darf sie nur nicht bedingungslos verallgemeinern.
Lorentz zeigte, daß die Elektronentheorie in Einklang mit den Maxwell'schen Gesetzen steht und darüber hinaus die Erklärung weiterer Erscheinungen ermöglichte. Dazu gehören u.a. die Farbenzerstreuung, die magnetische Drehung der Polarisationsebene, die Bestimmung der Brechungsindizes transparenter Körper und die Aufspaltung der Spektrallinien unter Einwirkung magnetischer Felder (Zeemann-Effekt). Das Experiment von Fizeau, wonach eine strömende Flüssigkeit den Äther teilweise mitführt, erklärte Lorentz als eine Rückwirkung der Elektronen des bewegten Wassers auf die Lichtgeschwindigkeit.
Die Elektronentheorie trägt von vornherein den prinzipiellen Widerspruch in sich, daß sie einerseits die Wechselwirkung zwischen dem Äther und den Körpern (Elektronen) grundsätzlich als ihr Fundament voraussetzt, andererseits aber jegliche Mitführung ausschließt.
Lorentz untersuchte die Kraftwirkung auf bewegte Ladungen im Magnetfeld. Er erkannte und formulierte einen bedeutsamen Zusammenhang, die später nach ihm benannte "Lorentzkraft":
Auch die Formel E = mc2 wurde bereits von Lorentz abgeleitet, der sie jedoch als beiderseitige stoffliche Umwandlung verstand und darin einen "Beweis" für die Existenz "seines" Äthers sah. II(1.6.7).
Die Lorentz'sche Elektronentheorie fand am Ende des 19. Jahrhunderts wegen ihrer außergewöhnlichen Erfolge allgemeine Anerkennung. Sie bestach durch ihr scheinbar vollkommenes Weltbild.
"Als die Elektronentheorie um die Wende des Jahrhunderts ihren Höchststand erreicht hatte, schien die Möglichkeit eines einheitlichen physikalischen Weltbildes nahegerückt, das alle Formen der Energie einschließlich der mechanischen Trägheit auf dieselbe Wurzel zurückführt: das elektromagnetische Feld im Äther. Eine einzige Energie stand noch außerhalb des Systems, die Gravitation; doch durfte man hoffen, daß auch diese sich werde als Ätherwirkung verstehen lassen." <12>
Die "Elektronentheorie" und die zauberhafte "Lorentzkraft", ohne die in der Elektrotechnik und Elektronik nichts funktionieren würde, haben sich bei aller Nützlichkeit noch immer hartnäckig ein paar Geheimnisse bewahrt. Bis heute weiß niemand, was das ist: ein Elektron. Die mystische Kraftwirkung "erklären" wir mit der Zauberformel "Lorentzkraft", die allerdings auch nur, mathematisch idealisiert, die äußere Erscheinung zum Ausdruck bringt.
Und wenn wir eines Tages erklären können, weshalb das bewegte "Ding", das wir "negative Ladung" nennen, in dem gewissen "Etwas", das wir "Magnetfeld" nennen, seitwärts abgelenkt wird und die "positive Ladung" in entgegengesetzter Richtung und weshalb die seitliche Ablenkkraft von der Geschwindigkeit der Ladung abhängt, wird man der wahren Natur elektromagnetischer Wirkungen wesentlich näher sein. Doch bis dahin (und so weit ausreichend und nützlich auch darüber hinaus), bedienen wir uns der abstrakten "Lorentzkraft".
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