Spur eines Jahrhundertirrtums

Inhalt
<< (2) Über den Umgang mit wissenschaftlichen Modellen
>> (3.2) Die geheimnisumwobene "latente Materie"

3 Um einen eindeutigen Materiebegriff

3.1 Materie im "herkömmlichen" und im "erweiterten" Sinne
3.2 Die geheimnisumwobene "latente Materie"
3.3 Das Wirbelprinzip der latenten Materie

3.1 Materie im "herkömmlichen" und im "erweiterten" Sinne

Kaum ein anderer Begriff ist in der Wissenschaftsentwicklung so umstritten wie der Materiebegriff. Dennoch einigte man sich schließlich trotz philosophischer Nuancen auf eine scheinbar eindeutige Definition: Materie ist die objektive Realität, die außerhalb des menschlichen Bewußtseins existiert und von ihm unabhängig ist.

 Im ursprünglichen Sinne bedeutet "Materie" die "stoffliche Substanz". So waren bis etwa um die Jahrhundertwende die Begriffe "Materie" und "Stoff" identisch, wobei man unter dem "Stoff" die Atome bzw. Moleküle der chemischen Elemente verstand, die als die kleinsten Bausteine der Materie angesehen wurden. Die Gleichheit von "Stoff" und "Materie" war so selbstverständlich, daß es im Sprachgebrauch nicht extra betont werden mußte, denn es gab keine "nichtstoffliche" Materie.

 In der Physik und in den technischen Wissenschaften, wo materielles Denken und Tun unerläßlich sind, erfuhr der Materiebegriff eine Präzisierung, die mit berechtigter Selbstverständlichkeit gehandhabt wurde: "Materiell ist alles objektiv Existierende, das wiederholbare Wirkung zeigt und meßtechnisch nachweisbar ist." Mit der Berufung auf das Experiment, als dem höchsten Kriterium der Wahrheit, scheint also in der Physik die Objektivität grundsätzlich gesichert zu sein.

Was aber existiert da objektiv und unabhängig von der menschlichen Vorstellungswelt? Wie ist die Materie strukturiert? Wo liegen die Grenzen ihrer Strukturen? Bei der Suche nach Antwort auf diese Fragen unterscheiden sich die eigentlich materialistisch orientierten Naturwissenschaftler in ihrer philosophischen Grundhaltung und Konsequenz. Da zeigt es sich, daß der (objektive) Materiebegriff gar nicht so eindeutig ist wie es zunächst erscheint.

Mit der Entdeckung der Radioaktivität und des Atomzerfalls geriet die bis dahin anerkannte Grenze der (stofflichen) Materie ins Wanken, und Vertreter der idealistischen Weltanschauungen frohlockten über das "Verschwinden der Materie". Um die Deutung des Atomzerfalls lieferten sich Philosophen aller Weltanschauungen erbitterte Gefechte. Philosophie ist als weltanschauliche Grundhaltung zunächst Ansichtssache des Einzelnen. Er muß prüfen und erfahren, wie ihn seine Grundauffassung befähigt, das Mögliche vom Unmöglichen, das Sinnvolle vom Sinnlosen und den rechten Weg vom Irrweg zu unterscheiden.

Dabei prallten uralte Gegensätze, die seit langem unter der Oberfläche schwelten, erneut mit voller Wucht aufeinander:

Die Materie "verschwindet", aber wohin verschwindet sie? Löst sie sich in ein stoffliches "Nichts" auf oder in andere, noch unerkannte stoffliche Strukturen? Ist ein Bereich stoffloser Materie überhaupt sinnvoll und denkbar? Ist der Raum denn leer, wie es einst Newton annahm? Oder ist er mit einem feinen stofflichen Medium, dem Äther, ausgefüllt? Sollen die beachtlichen Energien, die bei der Auflösung der Materie frei werden, etwa als stofflose Kräfte und Wirkungen deutbar sein? Ist die Welt überhaupt noch erkennbar? Gibt es eine Dialektik in der Natur oder vollziehen sich die Naturvorgänge zusammenhanglos und für den Menschen unerfaßbar nach dem Willen eines Schöpfers? Vielleicht verschwindet die Materie gar nicht? Möglicherweise geht sie nur in einen anderen Zustand über, der den menschlichen Sinnen nicht direkt zugänglich ist? Vielleicht verschwindet nur die Grenze, bis zu der wir die Materie bisher erkannt haben?

Der beschrittene "Ausweg" war kein Weg zur physikalischen Wahrheit, es war ein Weg der begrenzten Nützlichkeit, eine aus Not gemachte Tugend.

Seit Michael Faraday (1791-1867) bediente man sich des Feldbegriffes als Modell- und Hilfsvorstellung zur Veranschaulichung der elektromagnetischen Erscheinungen. Aber in der modernen Physik wurde der Feldbegriff "verselbständigt", man erklärte ihn zu einer "eigenständigen physikalischen Realität", zu einer "nicht weiter reduzierbaren Erscheinungsform der Materie". "Nicht weiter reduzierbar", d.h. nicht weiter zerlegbar, auf nichts zurückführbar, durch nichts erklärbar. Dem Erkenntnisprozeß wird eine willkürliche Schranke gesetzt, und ein Bereich der noch unerkannten Materie wird zu einer "Tabuzone" erklärt. Durch diese wissenschaftliche Unart wurde eine Modell- und Hilfsvorstellung zu einer "physikalischen Wahrheit" "gemacht". Folglich gilt nun das "Feld" als "nichtstoffliche" Strukturform der Materie.

Am objektiven Charakter der Felderscheinungen gibt es keinen Zweifel. Die Wirkungen der Felder sind meßtechnisch nachweisbar und wurden zur Grundlage vielfältiger technischer Anwendungen. Felder sind also im Sinne der Materiedefinition in jedem Falle eine objektive Realität. Es steht nur die Frage, ob das Feld als äußere Erscheinung einer noch unerkannten materiellen Ursache angesehen wird oder ob man durch die Verselbständigung des Feldbegriffes die äußere Erscheinung von ihrer Ursache loslöst und die Ursache verleugnet.

Die Not wird zur Tugend, weil für die Feldwirkungen keine ursächliche Erklärung "nötig" ist. Man hat sich mit den Tatsachen abzufinden, und jeder macht das auf seine Weise. Der Idealist motiviert sein "Sichabfinden" notgedrungen damit, daß das Feld ein Teil der Schöpfung sei. Der Materialist bekundet seine Verlegenheit oft mit dem Hinweis auf die Tatsache, daß das Feld eine nachweisbare objektive Realität und damit Materie ist. Dieser unnötige Hinweis, den ohnehin niemand bezweifelt, macht weder das Wesen des Feldes noch seine Wirkung erklärbar.

Aus einer neuzeitlichen Darstellung des Materiebegriffs, (Brockhaus):

"Die eigentlichen Träger der Materie (>Teilchen<) sind dynamische Zentren, die nur einen verschwindend geringen Raum einnehmen. Der räumliche Hauptanteil der makro-physikalisch repräsentierten Materie >leer< im Sinne einer naiven Anschauung, jedoch erfüllt von intensiven Kraftwirkungen. Sie bilden das Feld, das die eigentlichen Materieträger umgibt und als dessen Erzeugnis man umgekehrt auch diese eigentliche Materie zu verstehen bemüht ist, da seit Entdeckung des Dualismus eine scharfe Trennung zwischen den Begriffen Teilchen und Feld nicht möglich ist. Vielmehr können Teilchen mit Ruhemasse in solche ohne Ruhemasse umgewandelt werden und umgekehrt. Beide können als 2 verschiedene Erscheinungsformen von Energie aufgefaßt werden. Eine der Grundeigenschaften der Materie, oft fälschlich mit ihr gleichgesetzt, ist die Masse. Die Antimaterie ist im obigen Sinn als eine andere Form von Materie aufzufassen, nicht aber als etwas von normaler Materie Wesensverschiedenes."

Nun leben wir in einer zauberhaft verrückten Welt. Nach moderner physikalischer Ansicht muß wohl der Schöpfer durch die einheitliche Natur eine unnatürliche Scheidewand gezogen haben, wodurch die Welt in einen stofflichen und einen nichtstofflichen Bereich getrennt wird. In jedem dieser beiden Bereiche sollen Naturgesetze auf gesonderte Art und Weise wirken. Die eine Seite dieser Welten ist begreifbar, die andere entzieht sich unserem Vorstellungsvermögen. Beide Welten verbindet die abstrakte Formel.
Nach moderner Deutung E = mc2 erzeugen wir Energie (nichtstoffliche Materie) aus Masse (stoffliche Materie), wissen aber nicht, was da geschieht. Umgekehrt wird auch die Entstehung von Masse aus (stoffloser) Energie gedeutet. Eine exakte Definition des Stoff Begriffs wird vermieden, obwohl nun zwei Strukturformen der Materie anerkannt sind. Aus der Literatur spricht die Unvollkommenheit derzeitiger Begriffsbildungen. Man liest von der Materie im "herkömmlichen", im "physikalischen", im "philosophischen", im "direkten", im "gewöhnlichen", im "üblichen", im "eigentlichen", im "normalen" und im "erweiterten" Sinne.
Doch die "Spaltung der Natur" ist kein Schöpferakt. Der "Gott", der sie vollzog, war Albert Einstein. Er erklärte letztendlich das Vakuum zum stofflich leeren Raum, verselbständigte den Feldbegriff und verlieh ihm seine "Unantastbarkeit". Durch die Relativitätstheorie "mußten" die Wirkungen einer verkannten und verleugneten Materie auf höherer Ebene abstrakt berechenbar gemacht werden (ausführlich in Teil II).


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