Spur eines Jahrhundertirrtums

Inhalt
<< (1) Brauchen wir ein neues physikalisches Weltbild
>> (3.1) Materie im "herkömmlichen" und "erweiterten" Sinne

2 Über den Umgang mit wissenschaftlichen Modellen

Das wissenschaftliche Modell ist heute den Fachleuten aller Bereiche von Wissenschaft und Technik ein unentbehrliches Arbeits- und Hilfsmittel. Um eine exakte Definition des Modellbegriffes haben Fachexperten und Philosophen lange gerungen und gestritten. Daher findet man in der Literatur Definitionen, die sich in Nuancen unterscheiden. In ihrer wesentlichen Aussage stimmen aber alle Modelldefinitionen sinngemäß überein.

Einige charakteristische Grundaussagen sind z.B.:

Von Erkenntnistheoretikern wird oft ein besonderer Anspruch an die Modellfunktion hervorgehoben: "Ein Modell erfüllt dann und deshalb eine Erkenntnisfunktion, wenn und weil es objektiv immanent solche Informationen enthält, die über die bekannten, zu seiner Projektierung und Herstellung notwendigen Anfangserkenntnisse hinausgehen. Das Subjekt gewinnt am Modell echte neue Informationen und schließt erst daraus auf entsprechende Eigenschaften des Originals."

Diese Definition ist gewagt, weil sie voraussetzt, daß ein Modell mehr Information enthält, als hineinmodelliert wurde. In gewissen Grenzen mag das für Einzeleigenschaften zutreffen. Doch prinzipiell kommt es bei den Modellen, die zur Erkenntnisgewinnung dienen sollen, darauf an, die Grenzen der Aussagefähigkkeit des Modells sehr genau einzuschätzen, sonst könnten sich die auf das Original rückwirkend übertragenen, (vermuteten!), "echten neuen Informationen" in Wirklichkeit als verhängnisvolle Trugschlüsse erweisen.

Man modelliert heute fast alles in Wissenschaft und Technik. Und man könnte z.B. auch einen Menschen modellieren, als Wachsfigur, als gläserne Nachbildung des Körperbaus für medizinische Zwecke, oder auch als hochelektronisch funktionierenden Roboter in Menschengestalt.

Es wird aber niemandem einfallen, an diesen Modellen das tiefgründige innere Wesen eines Menschen studieren und mit mathematisch vollendeten Mitteln berechnen zu wollen, oder gar zu behaupten, daß ein Mensch in Wirklichkeit auch nur so beschaffen sein kann und darf, wie es aus dem Modell erkennbar und mathematisch ableitbar ist. Das wäre unwissenschaftliche Nichtbeachtung der Grenzen der Erkenntnisfunktion eines Modells!

Ein Modell kann viele Eigenschaften annehmen, - wenn wir sie ihm geben. Doch ein Modell kann nie zum Original werden und auch nicht dazu erklärt werden, denn dann verliert es seinen Modellcharakter, und es wird dabei der Bereich von Informationen negiert, durch den sich das Modell vom Original unterscheidet. Folglich ist es unsinnig und unwissenschaftlich, eine ideelle Struktur, auch wenn sie ihren Zweck hervorragend erfüllt, zur physikalischen Wirklichkeit zu erklären.

Auch das physikalische Weltbild ist in seiner Gesamtheit eine ideelle Struktur, eine Kombination aus verschiedenen, sich teils sogar widersprechenden UntermodeIlen.

Max Planck über das physikalische Weltbild:

"Zu diesen beiden Welten, der Sinnenwelt und der realen Welt, kommt nun auch noch eine dritte Welt hinzu, die wohl von ihnen zu unterscheiden ist: die Welt der physikalischen Wissenschaft oder das physikalische Weltbild. Diese Welt ist, im Gegensatz zu jeder der beiden vorigen, eine bewußte, einem bestimmten Zweck dienende Schöpfung des menschlichen Geistes und als solche wandelbar und einer gewissen Entwicklung unterworfen. Die Aufgabe des physikalischen Weltbildes kann man in doppelter Weise formulieren, je nachdem man das Weltbild mit der realen Welt oder mit der Sinnenwelt in Zusammenhang bringt. Im ersten Falle besteht die Aufgabe darin, die reale Welt möglichst vollständig zu erkennen, im zweiten darin, die Sinnenwelt möglichst einfach zu beschreiben." <47>

Die Nutzfunktion unseres Weltbildes beherrschen wir, die Erkenntnisfunktion wurde der Nutzfunktion geopfert. Beide Funktionen, obwohl sie sich im Erkenntnisprozeß bedingen, möchte man unterscheiden, denn die physikalische Wirklichkeit und ihre im Modell erfaßten Einzelerscheinungen oder auch manche zweckdienliche hineinkonstruierten Behauptungen andererseits sind zwei grundsätzlich verschiedene Dinge. Die vollständige physikalische Wahrheit muß nicht immer nützlich sein! Die nützlichste Modellvorstellung kann nie in vollem Umfang wahr sein!

Die gängige Deutung der Gravitation als "Massenanziehungskraft" im leeren Raum ist, da man nur über Jahrhunderte den Himmelskörpern, den realen wie den vermuteten, die ihnen gebührenden Massen "zugeordnet" hat, zu einer nützlichen Modellvorstellung geworden. Ist aber durch die Nützlicheit dieser Auffassung bewiesen, daß da wirklich eine Massen-Anziehungs-Kraft zwischen den Körpern im leeren Raum wirksam ist? Dennoch wird diese Auffassung im modernen physialischen Weltbild und unumstößliches Naturgesetz angesehen.

Der Feldbegriff wurde zu einer "eigenständigen physialischen Realität" erhoben, zu einem nicht weiter erklärbaren Naturgeschehen, obwohl die Wegbereiter des Feldbegriffs (Faraday, Maxwell, Hertz) das "Feld" stets als Modell- bzw. Hilfsvorstellung aufgefaßt hatten.

Es ist ganz normal, daß sich die Untermodelle des physikalischen Weltmodells teils widersprechen oder gar völlig ausschließen; das liegt an der Haupteigenschaft eines Modells. Man nutzt eben das Modell, das dem jeweiligen Zweck am dienlichsten ist. Besonders deutlich wird dies bei der Welle-Teilchen-Erscheinung. Doch auch hier ist man bemüht, diese peinlichen "Teilchen mit Wellencharater" bzw. "Wellen mit Teilchencharakter" als "Welle-Teilchen-Dualismus" in den Rang der physialischen Wirklichkeit zu erheben, zu einer "dialektischen Einheit der Natur", zum "unerklärbaren Schöpfungsakt".

Es ist eben die Tragik des modernen physikalischen Weltbildes, daß "es" einem Modell nicht seinen Modellcharakter läßt. Der äußeren Erscheinung wird damit von vornherein das (noch unerkannte) innere Wesen aberkannt. Für grundlegende physikalische Ursachen und Zusammenhänge, die sich unter der äußeren Erscheinung abspielen mögen, die uns verborgen sind, hat man keine Erklärung und darf auch keine finden, weil durch geschaffene Tabuzonen und Dogmen der Erkenntnispfad verbaut und verboten wurde.

Lassen wir also dem Modell seinen Modellcharakter! Modelldenken ist stets Nützlichkeitsdenken mit eingeschränktem Anspruch auf Übereinstimmung mit der Wirklichkeit. Man muß sich aber strikt dagegen wenden, die Nützlicheit eines Modells als Beweis für die Deutungen anzusehen, die mit diesem Denkmodell insgesamt verknüpft worden sind, denn das ist unwissenschaftlicher Umgang mit wissenschaftlichen Modellen.

Wir wagen eine Schlußfolgerung, die noch ausführlicher untersucht und belegt wird: Der unwissenschaftliche Umgang mit wissenschaftlichen Modellen behindert das Erkennen der physikalischen Wahrheit.

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